Hefen sind auf Nahrung angewiesen, um ihren Job zu verrichten. Wird es in dieser Hinsicht knapp, entwickeln sie radikale Methoden, wie neueste Forschungen zeigen. Sie werden buchstäblich zu Killerhefen.

Hefen sind der Motor der ältesten lebensmittelchemischen Prozesse der Menschheit. Ohne sie gäbe es keinen Wein, keinen Käse und kein Bier. Bleiben wir beim Wein, der aus Traubenmost entsteht, indem primär Hefen den Zucker in Alkohol und andere Stoffwechselprodukte wie Kohlendioxid, Essigsäure, Acetaldehyd oder Salze und Ester der Brenztraubensäure umwandeln. Viele der Stoffwechselprodukte prägen nachhaltig das aromatische Profil des fertigen Weines.

Auch die Zusammensetzung des Alkohols – von Ethanol bis zu höheren Alkoholen wie Glycerin – wird vom Hefemetabolismus beeinflusst. Ob das alles nach den Vorstellungen des Winzers läuft, hängt maßgeblich vom Wohlbefinden der Hefen ab. Neben anderen Randbedingungen wie Temperatur oder Schwefelgehalt spielt die Nährstoffversorgung für ihr Gedeihen die zentrale Rolle. Wenn es mit der Nahrung knapp wird, zeigen Hefen ein bemerkenswertes Verhalten, wie Forscher der University of Tokyo beobachten konnten. Ihre überraschenden und Aufsehen erregenden Erkenntnisse haben sie im November 2022 in der wissenschaftlichen Zeitschrift PLOS Biology aus dem Verlag Public Library of Science publiziert. Schauen wir uns zunächst an, wie die Gärung abläuft.

Der Lebenszyklus der Hefen

Auf den Beeren siedeln sich im Weingarten verschiedenste Mikroorganismen an, die sich von Zucker und Spurenelementen ernähren, die durch die Haut diffundieren. Dazu gehören auch die Hefen. Je nach Reifegrad sind es unterschiedliche Populationen. Sie überdauern die Verarbeitung der Trauben und finden sich im frischen Most wieder. Zunächst tummelt sich ein buntes Sammelsurium verschiedenster Gattungen auf den Beeren und im Saft.

Das Spektrum der Keime draußen im Weingarten ist anders als im gärenden Most. Das bedeutet, es tut sich mikrobiologisch einiges. Mit steigendem Alkoholgehalt übernehmen die Repräsentanten der Gattung Saccharomyces cerevisiae die Kontrolle, die anderen Spezies sterben an einer Alkoholvergiftung. Sie wurde zuerst in obergärigen Bierhefen isoliert, deshalb der auf Bier hinweisende Name. Diese Hefe gilt als fakultativ anaerob. Das bedeutet, dass sie Energie sowohl aerob, also in Form der Zellatmung mit Sauerstoff, gewinnen kann als auch anaerob durch Gärung. Hefen lieben Zucker, ein saures Milieu, moderate Temperaturen und nicht zu viel Sauerstoff.

Önologisch unterscheidet man im Leben der Hefen vier Phasen. Zu Beginn vermehren sie sich nur zaghaft, da sie sich an die neue Umgebung erst anpassen müssen – sie baden nun bei wenig Sauerstoff in zuckerreichem und eher kühlem Most. Wenn sie diesen Schock verdaut haben, beginnt die Wachstumsphase. Der Großteil des vorhandenen Sauerstoffs wird für das Zellwachstum verbraucht, die Population der Hefezellen steigt rasant auf das rund Zwanzigfache; 20 bis 100 Millionen pro Milliliter sind es dann.

Jetzt verrichtet diese gewaltige Schar winziger Helfer ihre eigentliche Arbeit, sie baut den Zucker ab. Die Zahl der Hefezellen ändert sich nur wenig, man spricht von der stationären Phase. Wie intensiv gearbeitet wird, hängt maßgeblich von der Temperatur ab. Sie sollte zu Beginn dieses Abschnittes reduziert werden, um eine stürmische und damit aromaschädigende Gärung zu verhindern.

Der nun sukzessiv gebildete, toxisch wirkende Alkohol bremst die Arbeitsfreude der Hefepilze merklich ein. Um das zu kompensieren, wird die Temperatur hochgefahren. Wie warm es werden darf, hängt von den Intentionen des Weinmachers ab. Der Zweck der Übung besteht nach wie vor darin, das Mostgewicht zu verringern. In der finalen Phase, dem Absterben, stellen die Hefen ihren Dienst ein. Wie sie sich in dieser Stresssituation verhalten, haben die Forscher aus Tokio herausgefunden.

Hungerkuren tun gar nicht gut

Was der moderne Mensch freiwillig auf sich nimmt, um Gewicht abzubauen oder seinen Körper zu entgiften, nämlich eine Hungerkur, bekommt den Hefen und damit dem Wein gar nicht gut. Ihre ausreichende Versorgung mit Nährstoffen beugt beispielsweise dem untypischen Alterungston vor, der mit fortschreitendem Klimawandel öfter anzutreffen sein dürfte. Eine verschleppte Gärung erhöht die Gefahr von Fehltönen. In trockenen und heißen Vegetationsperioden bilden die Trauben weniger Nährstoffe, die von den Hefen während der Gärung benötigt werden. Was tun die Hefen in solchen Ausnahmesituationen?

Radikale Selbstverteidigung

Zu den Kohlenhydraten, von denen sich Hefen ernähren, gehören Zucker wie Glukose, Fruktose oder Maltose. Gibt es zu wenig davon, müssen sich sowohl einzelne Hefezellen als auch ganze Populationen anpassen und Strategien entwickeln, um zu überleben. Wie sie das machen, haben die japanischen Forscher untersucht, indem sie den Glukoseanteil in Kulturen der Hefe Schizosaccharomyces pombe reduziert haben, also die Hefen hungern ließen.

Rund 160 natürliche Stämme dieser Gattung sind bekannt. Die Mehrzahl davon wurde auf Früchten wie Äpfeln und Weintrauben sowie in alkoholischen Getränken gefunden. In der Molekular- und Zellbiologie werden diese Hefen häufig als Modellorganismen verwendet.

Dieser Typ vermehrt sich durch Teilung, die Zellen spalten sich. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zur wichtigsten Gärhefe beim Wein, der Saccharomyces cerevisiae, die sich durch Knospung reproduziert. Auch sonst gibt es einige markante Unterscheidungsmerkmale. Die Bierhefe beispielsweise hat 16 Chromosomen, Schizosaccharomyces pombe nur drei. Trotz der nur entfernten Verwandtschaft verhalten sich beide Stämme in Hungersnöten ähnlich, wie zusätzliche Experimente gezeigt haben. Es gibt handfeste Indizien, dass Hefen generell versuchen, ihr Überleben mit radikalen Methoden sicherzustellen. Doch der Reihe nach.

Die zelluläre Anpassung an stressige Randbedingungen wie Nahrungsknappheit ist für das Überleben mikrobieller Gemeinschaften unerlässlich. Allerdings kann eine einheitliche Reaktion der Zellgemeinschaft zu deren vollständigem Absterben oder zu einer schweren Beeinträchtigung ihrer Fitness führen. Hier haben die brandaktuellen Forschungen eine ausgeklügelte, geradezu brachiale Reaktion der Hefepopulation gegen Glukosemangel entdeckt: Die ersten Zellen, die sich an das lebensfeindliche Milieu anpassen, töten die Nachzüglerzellen und konkurrierende Bakterien. Das gelingt ihnen, indem sie während des Glukoseabbaus Autotoxine freisetzen, also im eigenen Organismus produzierte Gifte wie die Aminosäure Leucin und das Aminosäureprodukt L-2 keto-3 methylvalerat. Diese Toxine können sogar den eigenen Nachwuchs einer individuellen Zelle – man spricht von klonalen Zellen – vernichten. Die giftigen Substanzen hätten das Potenzial, Massenselbstmord auszulösen. Deshalb differenzieren sich einige Zellen, um sich ohne genetische Veränderungen an die Autotoxine anzupassen. Sie entwickeln eine Resistenz.

Nachzügler-Tötung

Die Entwicklung von Zellen von einem weniger spezialisierten Zustand in eine stärkere Spezialisierung nennt man Differenzierung. Auch Zellen, die aus derselben elterlichen Zelle hervorgegangen sind, bleiben nicht verschont, wenn sie, aus einer glukosereichen Umgebung kommend, zur Hungerkur verdonnert werden. Der Grund ist einfach: Diese Zellen hatten noch keine Gelegenheit, sich zu differenzieren. Sie sind daher nicht gegen die Gifte gefeit. Die resistenten Zellen nutzen ihre Chance gnadenlos. Das wissenschaftliche Team hat diesem Phänomen einen markanten Namen gegeben: Nachzügler-Tötung.

Entfernt verwandte Knospenhefen wie Saccharomyces cerevisiae legten dieses Verhalten in den Laborversuchen ebenso an den Tag wie andere Spalthefen. Sie produzierten dieselben Autotoxine. Daraus schlossen die Forscher, dass die Eliminierung von Nachzüglern ein universelles System der interzellulären Kommunikation sein könnte, ein System, dem für den evolutionären Übergang von einzelligen zu mehrzelligen Organismen Relevanz beigemessen wird.

Nutzen und Erkentnisse der Studie

Jetzt könnte man sich fragen, was diese neuen Erkenntnisse bringen. Betrachtet man die Problematik von einem etwas anderen Standpunkt, lassen sich aus den Forschungsergebnissen Wachstumskontrollen für Hefen entwickeln. Dieses Thema hat sowohl in der Lebensmittelindustrie als auch im Gärprozess von Wein Bedeutung. Man könnte im Wissen um diese Überlebensstrategien aber auch lernen, wie man Nährstoffmangel für Hefen entschärft. Da das Phänomen der Nachzügler-Tötung allgemeingültig ist, geht es hier nicht um Reinzuchthefen. Das Spiel kann beginnen.

 

Abo bestellen - Die gesamte Reportage mit allen Kostnotizen und Bewertungen, Toplisten und Interviews finden Sie in der Ausgabe Vinaria 07/2023. Bestellen Sie Vinaria jetzt einfach & bequem zum Erscheinungstermin nach Hause. Das Jahresabo Vinaria mit 8 Ausgaben pro Jahr inklusive dem großen Weinguide Österreich ist um € 69,00 (EU-Ausland € 89,00) erhältlich. Jetzt im Vinaria Abo-Shop bestellen.

Leucin tötet den Hefenachwuchs
Saccharomyces cerevisiae, die wichtigste Gärhefe © Shutterstock
Kein Weingenuss ohne Hefen oder Fast so alt wie die Menschheit: Lebensfreude aus vergorenem Traubensaft © Shutterstock