Mitten in der Weinlese im Bordealais verschärfen sich – wie in anderen französischen Weinbauregionen auch – die skandalösen Praktiken mit ausgebeuteten Wanderarbeitern als Lesehelfer. Anzeigen wegen Menschenhandels häufen sich, Einheimische protestieren gegen illegale „Zigeunercamps“ und Grundbesetzungen.

Das System der Leiharbeiter in der Landwirtschaft ist in Südeuropa weit verbreitet, nicht nur im Weinbau. Da schlägt es zur Hautplese aber wieder große Wellen. Weil auch die berühmtesten Châteaus rund um Bordeaux immer weniger Stammarbeitskräfte zur Lese zur Verfügung haben, blüht das Geschäft mit den Leih- und Wanderabeitern. Neben seriösen Unternehmen, die Lesehelfer vermitteln, häufen sich die Schwarzen Schafe, die bitterarme Menschen wie moderne Sklaven behandeln.

Moderne Sklaven hausen auf Lastwägen

Die berühmten Châteaus und ihre Schlossherren schauen da gerne weg, solange die oft unterstandslosen Arbeiter nicht auf ihren Gütern nächtigen oder herumlungern. Gewiefte Gutsbesitzer wissen: wenn sie Leihverträge unterschreiben, die auch die Unterbringung und Versorgung der Arbeiter regeln, sind sie dafür auch haftbar. Daher werden lieber Verträge ohne diese Passagen geschlossen, womit die Arbeitskräfteverleiher de facto machen können, was sie wollen.

Verhältnismäßig gut geht es noch jenen Lesehelfern, die in Bruchbuden oder verfallenenen Häusern untergebracht werden. Andere müssen in Fetzenzelten hausen, weil ihren Vermittlern offizielle Campingplätze, die es auch gäbe, zu teuer sind. Oder die Arbeiter schlafen gleich auf Lastwägen oder Anhängern auf den Ladeflächen. Ohne sanitäre Einrichtungen, ohne Wasser, Heizung, WC, Kochgelegenheiten. Geschlafen wird im Arbeitsgewand, bestenfalls in einem alten Schlafsack.

Châteaubesitzer schauen meistens weg

Die Châteaubesitzer oder -manager schauen einfach weg. Es geht nur darum, wer am meisten erntet zum möglichst günstigsten Stundenlohn. Je einfacher die Weingüter sind, die auch im Bordelais oft nur Billigweine erzeugen, umso dramatischer wird die Situation für die Arbeiter. Viele stammen aus Marokko oder Algerien, sind Roma aus Rumänien („Zigeuner“), kommen aber auch aus ärmlichen Regionen Frankreichs, Spaniens oder Portugals.

Die Verleihfirmen wissen, dass sie laufend angezeigt werden. Sie kommen aber mit Verwarnungen oder leistbaren Geldstrafen davon. Zuletzt schalteten sich, wie berichtet, zusehends Staatsanwaltschaften ein und wenden Ausbeutungs- oder Menschhandelsparagrafen an, um den Missbrauch härter bekämpfen zu können. Firmen, die nur die Unterbringung der Landarbeiter-Nomaden organisieren, meist unter unmenschlichen Umständen, werden von den Einheimischen „Schlafhändler“ genannt.

Schlafhändler sind die schlimmsten Ausbeuter

Derzeit stapeln sich in Saint-Estèphe, im Herzen des Médoc, Dutzende von Zeltlagern, Lastwagen und Karawanen von Saisonarbeitern auf einem städtischen Grundstück an der Grenze zur Gironde, in der Nähe prestigeträchtiger Schlösser. Drei Kilometer weiter überziehen zwei weitere Camps den Hafen von Pauillac. Wie kann man die Tausenden von Traubenpflückern adäquat unterbringen? Châteaus und Behörden in Bordeaux schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Auf den ehrwürdigen Châteaus dürfen die Saisonarbeiter meist nicht mal campieren: „Die will Monsieur doch nicht auf seinem Rasen haben“, ist ein geflügelter Sager unter Einheimischen. Warum man die Siasonarbeiter nicht einfach in billigen Hotels oder Gasthöfen unterbringen kann? Zum einen, weil es davon im Bordelais am Land kaum welche gibt. Zum anderen, weil dann behördliche Mindeststandards gelten, die die Arbeitsvermittler weder erfüllen noch bezahlen möchten.

„Die will Monsieur nicht auf seinem Rasen haben“

Zart keimt die Hoffnung, dass sich vor allem die führenden Weingüter wegen der negativen Schlagzeilen und schlechten PR künftig wieder vermehrt dem Schicksal ihrer Wanderarbeiter annehmen könnten. Es kommt schließlich nicht gut, wenn die Trauben für den Wein, der am Ende hundert(e) pro Flasche kostet, von modernen Arbeitssklaven geerntet wurden, die ein paar Euro Stundenlohn erhielten und dafür auf der Ladefläche eines Lastwagens oder unter freiem Himmel hausen mussten.

Émeline Borie, Präsidentin des Weinverbandes der Appellation Pauillac, setzt auf eine neue Generation, die die Führung der Châteaus übernommen hat: „Viele verlangten bereits danach, die Quartiere zu besichtigen, die die Leiharbeitsfirmen ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen.“ Erste Grands Crus Classés-Châteaus investieren auch bereits in eigene Campingplätze und Saisonquartiere, um die bei ihnen beschäftigten Saisonarbeiter selbst unterzubringen.