Als Karl Neustifter im Jahr 2007 einen neuen Weingarten in der Ried Steinberg als Stockkultur auspflanzte, hat er seinen lang gehegten Wunsch nach einem zeitlosen Wein gleichsam mit der Rückbesinnung auf traditionelle Methoden verknüpft. Nach der 13. Lese kann er das gewagte Projekt hochleben lassen.

Der Stockkultur Weingarten Ried Steinberg © Robert Herbst

Bei der historisch gesehen wohl wichtigsten Erziehungsform, die in Österreich erst in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durch die weitaus ökonomischer zu bearbeitende Hochkultur abgelöst wurde, werden die Weinstöcke im Abstand von etwa 80 Zentimetern und in einer Reihenbreite von einem Meter gesetzt und ranken sich an Holzpfählen empor. Klarerweise kann ihre Pflege dann nur per Hand erfolgen, sodass man insgesamt von einem viermal höheren Arbeitsaufwand ausgehen muss.

Warum nimmt man eine derart aufwendige Bearbeitung überhaupt in Kauf? Einerseits bringt die tiefere Verwurzelung im sandig-schottrigen Löss-Boden der Riede Steinberg den mineralischen Ausdruck dieses Terroir voll zur Geltung und andererseits werden durch die Stockkultur eine frühe Ausreifung und ein hoher Extraktgehalt gefördert.

Stockkultur fördert frühe Reife, hohes Extrakt

Die Kehrseite besteht wiederum darin, dass die Zeitfenster für rechtzeitige Bearbeitungsschritte bis hin zur Lese viel kürzer als bei der Hochkultur sind – zwischen perfekter Vollreife und unerwünschter Überreife der Trauben liegt zumeist nur eine Woche.

Stellt sich die Frage, wie man mit dem Most und Jungwein im Keller verfahren soll, schließlich soll seine Besonderheit auch in einem denkwürdigen wie haltbaren Wein zum Ausdruck kommen. Nach einiger Versuchsarbeit setzt man heute im Keller auf traditionelle, spontane Gärung im Holzfass und teilweise Maischegärung, wobei man laut Monika Neustifter auf allzu extreme Ausbaumethoden verzichtet.

Mix aus großen Fässern und gebrauchten Barriques

Malolaktische Fermentation und einjähriges Lager auf der Feinhefe werden aber durchgezogen. Dann darf der „Neustifter Stockkultur Veltliner“, wie dieses Unikat offiziell bezeichnet wird, lange Zeit in einem Mix aus großen Fässern und gebrauchten Barriques heranreifen – vor der Abfüllung zu seiner Harmonisierung allerdings noch ein weiteres Jahr im Stahltank verbringen; mithin schlummern auch die Jahrgänge 2021 und 2022 noch im Keller.

20,5 Grad KMW bereits am 15. September 2023

Das gilt selbstredend erst recht für den bereits am 15. September mit 20,5 Grad KMW gelesenen 2023er, der aufgrund eines im Frühjahr erlittenen Hagelschadens gerade vier Barriques zu füllen vermag. Ansonsten kann man bei normalem Ertrag mit rund 3.000 Flaschen rechnen, darunter Magnumflaschen und noch größere Formate. Die Weine werden übrigens in markante schwarze Flaschen gefüllt, die eine Kellerkatze ziert, wie sie früher auf das beste Fass gesetzt wurde. Das Katzenbild auf der Flasche wird jedes Jahr von einem anderen Künstler grafisch gestaltet.

Potenzial des Poysdorfer Veltliners voll ausschöpfen

Wie die beeindruckende Vertikalverkostung bewiesen hat, verfügt der so aufwendig erzogene und sorgsam ausgebaute Individualist auch über enormes Reifepotenzial, das gegenwärtig noch gar nicht zur Gänze abgeschätzt werden kann. Insofern ist das Wunschbild von Karl Neustifter, einen hochwertigen und langlebigen Weinstil zu kreieren, der das Potenzial des Poysdorfer Veltliners voll ausschöpft, bereits in Erfüllung gegangen.

Beim Servieren setzen die Neustifters auf die großen Burgunder-Kelche von Zalto, obwohl die etwas kleineren Bordeauxgläser auch gut passen sollten, genauso wie eine nicht zu kalte Serviertemperatur; vermitteln die Stockkultur-Veltliner doch gleichsam burgundisches Flair. Dass sie auch als Begleiter von Gerichten taugen, zu denen man üblicherweise eher Rotwein reichen würde, liegt auf der Hand.

 

DEGUSTATIONSNOTIZEN

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2020 Neustifter

Zart blumiger Auftakt, Anklänge von Verbene und Birne, sehr frisch, pikant und jugendlich; glockenklar, der exotisch anmutende Aromenreigen kann die Eichennote schon abfedern, atmet kühle Eleganz, straff und noch ein wenig ruppig, rassiger Abgang, erst ganz am Beginn, schöne Reserven.

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2019 Neustifter

Beginnt mit Blütenhonig und Kamille, dann auch gelbe Äpfel und Quitten, ausgereift und üppig, rauchige Untertöne; sehr kraftvoll und mächtig, etwas feuriger Alkohol, doch fruchtsüß und saftig, cremiger Schmelz, ein bisschen Malz und Karamell vom Holzeinsatz, reichhaltig und lang, beste Perspektiven.

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2018 Neustifter

Bereits Ende August geerntet, Roggenbrot und Waldhonig, eher schüchterne gelbfruchtige Anklänge; sanft strömend bei mittlerer Substanz, rund und balanciert, deutliche Röstnote, erneut nur Ansätze von Steinobst, merklicher Gerbstoff, zartbitteres Finale.

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2017 Neustifter

Nobles Duftspiel nach Physalis und Kirschpflaume, traubige Delikatesse, vielschichtig wie elegant; feingliedrig und extraktsüß, alles in perfekter Harmonie, Bourbonvanille und Mandarinen, viel Spannung und Expression, dicht und finessereich, langer Nachhall – großer Wein, der ein langes Leben vor sich hat.

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2016 Neustifter

Bukett nach hellem Tabak und Gartenkräutern, etwa Salbei, pikant und frisch, kühle Note; recht streng und kernig, pfeffrige Würze, auch schotige Akzente, dezente Frucht nach Ribiseln, ein bisschen eckig, geht mit Luftzufuhr langsam auf.

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2015 Neustifter

Ringlotten und Marillenröster in der etwas feurigen Nase, ausgereift und offenherzig, saftig und verlockend; engmaschig und balanciert, kraftvoll, gleitet sanft und cremig über den Gaumen, der passende Tanninrahmen verleiht Festigkeit, opulent, aber auch lebhaft, langer Nachhall, große Reserven.

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2014 Neustifter

Gartenkräuter, schwarzer Pfeffer und Roggenbrot in harmonischer Eintracht, eher zögerliche Frucht; kühle Note bei schlankem Körperbau, rund und filigran, gut abgestimmt, sehr erfrischend, der schwierige Jahrgang wurde gut gemeistert, ein schickes Kleinkunstwerk.

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2013 Neustifter

Spät im Oktober gelesen, tiefes Goldgelb; Nase nach reifen Marillen und Kletzenbrot, eine Spur von Botrytis, röstige Untertöne; ähnliche Eindrücke am Gaumen, etwas Orangenzeste, fest und extraktreich, auch eng verwoben, guter Biss, überaus individuell.

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2012 Neustifter

Beginnt mit Blockmalz, dann aber auch tiefe Frucht nach Äpfeln und Birnen, feurige Note; ziemlich maischig und hefig am Gaumen (drei Wochen Maischegärung), barocker Charakter, Bouillon und Dörrobst, muskulös und eigenwillig.

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2011 Neustifter

Das perfekte Traubengut wurde in drei Tagen eingebracht, nahezu exotisches Duftspiel nach Melone und Mango, saftig und kraftvoll, viele Facetten; mächtig angelegt, doch ausgewogen, delikater Schmelz, Thymian und Birnenfrucht, deutliche Eiche, vielleicht der „burgundischste“ der verkosteten Serie, attraktiv und zeitlos.

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2010 Neustifter

Florale Art, Lindenblüten und nussige Anklänge, auch chiliartige Würze, überraschend frisch und fordernd; glasklar, feines Fruchtspiel, Andeutung von weißen Pfirsichen, komplexe Ader, kühle Eleganz, salziger Abgang, sehr präsent und „hintergründig“.

 

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Karl Neustifter © Adrian Almasan
Monika Neustifter © Adrian Almasan
Das Hotel Neustifter in Poysdorf ist eines der führenden Häuser im Weinviertel. © Robert Herbst
© Neustifter