Kein anderer Zweig der Landwirtschaft brachte in den vergangenen Jahrhunderten derart viele Arbeits- und Festrituale hervor wie der Weinbau. Mit dessen Mechanisierung kamen die meisten von ihnen ab den 1950er-Jahren zum Erliegen. Regional haben sich jedoch etliche Relikte erhalten.

Weinlese mit Musikbegleitung in St. Veit (heute Teil von Wien-Hietzing). Johann Ziegler, Kupferstich und Radierung, koloriert (Ausschnitt). © Archiv Johann Werfring

In alter Zeit wurde die Weinlese geradezu als ein Volksfest begriffen. In seinem im Jahr 1808 erschienenen Werk „Wanderungen und Spazierfahrten in die Gegend um Wien“ berichtet der in Krems geborene und nachmals in Wien tätige Lokalhistoriker und Pädagoge Franz de Paula Gaheis über die Verhältnisse im Weinort Ottakring bei Wien:

„Unter den hier herrschenden Volksfesten zeichnet sich das der Kirchweihe und der Lesezeit am meisten aus. Dieses dauert ungefähr 14 Tage. Während dieser Zeit ziehen die zur Weinlese bestimmten Personen am frühen Morgen immer in Reihen zur Arbeit ins Gebirge. Der Pritschenmeister mit einem Leyrer eröffnet den Zug. Diesem folgen unter Liedern die Mostler, die Winzer und Winzerinnen jubelnd nach, und kehren abends in demselben Zuge zurück.“

Unter „Leyrer“ ist ein Leierspieler zu verstehen. Ähnliches überliefert eine Quelle aus der ausgehenden Kaiserzeit über die Gepflogenheiten in Ottakring: „Während der Lesezeit zogen Winzer und Winzerinnen am frühen Morgen mit Musik und Gesang ins Gebirge und kehrten abends mit Blumen geschmückten Wagen unter Jubel und Lustbarkeit ebenso wieder zurück“.

Herausgeputzte Lesefuhrwerke

Vor Zeiten, als die Ernte noch mit Pferden und Rindern eingebracht wurde, waren die für den Transport des Lesegutes bestimmten Tiere in vielen Gegenden besonders herausgeputzt. Den für das Maischeführen bestimmten Pferden wurde Bast in die Mähne und in den Schwanz geflochten, zudem trugen sie eine Glocke am Kummet, die sogenannte Klinsel. Auch der Hut des Kutschers war oft mit einem Blumensträußchen geschmückt. Aus dem Spundloch des Maischefasses ragte beim Transport ein Blumensträußchen.

In Mörbisch am Neusiedler See fertigten die Burschen, die den Lesewagen fuhren, einen „Schmiss“ an. Es war dies eine dünne, gedrehte Schnur oder ein gedrehter Bast. Dieser wurde am Ende des Peitschenriemens befestigt. Wenn sie morgens aus- und abends einfuhren, richteten sie sich stehend auf und schnalzten mit ihren solcherart zugerichteten Peitschen. Im Dorf wie auch im Weingebirge erhielten sie sodann von den Passanten freundliche Zurufe und gute Wünsche.

Rituelle Beendigung der Weinlese

Die rituelle Beendigung der Weinlese durch das Abschneiden der letzten Traube nahm in alter Zeit die Hauerin vor. Diese versäumte es bei dieser Gelegenheit auch nicht, dem Himmel einen Dank abzustatten. Für einige Orte der Südbahnregion sind die Dankesworte der Hauerinnen zum Ende der Weinlese noch bekannt. Diese lauteten in Baden bei Wien: „Vergelt’s Gott, für heuer is’s gscheg’n / hoffentlich nächstes Jahr mehr Seg’n“.

In Gumpoldskirchen hieß es: „Dem Herrn die Ehr / aufs Jahr hoffentli’ mehr.“. In Pfaffstätten gab man sich etwas bescheidener: „Weingarten auf Wiedersehen / nächstes Jahr a so viel Segen.“. Im Weinviertler Ort Matzen sagte man nach Abschluss der Lese vor der Abfahrt: „Ruü, ruü, ruü / aufs Joah bist wieda buttnvuü“ (Roll, roll, roll / nächstes Jahr bist du wieder Butten voll).

Heimkehr mit der „letzten Fuhr“

In verschiedenen Gegenden Österreichs gab es zum Abschluss der Weinlese einen weiteren Brauch: Von alters her erfolgte die Einbringung der letzten Fuhre mit einer speziellen Zeremonie. In den Gemeinden des nördlichen Burgenlandes schmückten die einzelnen Hauer die letzte Traubenfuhre, die sie einbrachten, mit Weinranken, einfachen Feldblumen, Strauch- und Laubwerk oder mit bunten Bändern.

Wer etwas auf sich hielt, achtete darauf, dass der Heimweg mitten durch den Ort führte, auch wenn dafür im Einzelfall ein Umweg in Kauf genommen werden musste. In Rust am Neusiedler See, wo das letzte Fuhrwerk „Leikaufwagen“ hieß, wurde ein junger Eichen- oder Birkenwipfel mit farbigen Bändern, manchmal auch mit leeren Flaschen, behangen und auf dem Wagen aufgepflanzt.

Herrgottsmugl und Weingartenschlüssel

Verschiedentlich wurde früher auch die allerletzte Fuhre des Jahres in spezieller Weise gefeiert. In der Retzer Gegend erhielt jener Winzer, der als Letzter seinen Weingarten erntete, in feierlicher Weise einen großen hölzernen Schlüssel verehrt. War er im Jahr darauf abermals mit der Ernte der Letzte, so erhielt er einen mit Silberbronze gestrichenen Schlüssel, und beim dritten Mal hintereinander wurde ihm ein goldfarbener Schlüssel übergeben. Symbolische Weingartenschlüssel, die auch Weinhüterzwecken dienten, sind in den Dauerausstellungen im museumkrems sowie im Heimatmuseum Pfaffstätten ausgestellt.

Die Winzer von Krems an der Donau haben heute noch bei brauchtumsmäßigen Auftritten einen gewaltigen Holzschlüssel dabei. Früher fuhren die Weingartenhüter bei der allerletzten Fuhre des Jahres unter Jauchzen, Schießen und Peitschenknallen mit und sorgten solcherart für großes Aufsehen.

Zu Hause angekommen wurden früher nach Beendigung der Lese alle Beteiligten vom Bauern auf einen Trunk in den Keller eingeladen. Im Anschluss durften sich die Arbeitskräfte auf die im Rahmen der erwähnten Feier aufgetischte „Lesgans“ oder auf den „Leshahn“ freuen, wobei in reicheren Weinbauernhäusern auch eine Musik zum Tanz aufspielte.

In Gols wurde die vom Weingarten heimgebrachte „schönste Traube“ in der Hauseinfahrt oder über dem Kellereingang, in Weiden am See hingegen im Presshaus aufgehängt. In Großhöflein bei Eisenstadt hieß die größte und schönste Traube „Jubiläumstraube“. In der Wachau und in der Kremser Gegend hieß die größte Traube „Hergottsmugel“, sie kam auf den Pressbaum der Weinpresse und blieb dort bis zur nächsten Lese hängen.

Neues Ritual in der Wachau

Im Weingut Johann Donabaum in Spitz an der Donau wird seit einiger Zeit ein neuer Brauch gepflogen. Im Rahmen des festlichen Abschlusses der Weinlese (in der Wachau von alters her „Valedifeier“ genannt) wird alljährlich eine Person der Lesemannschaft mit der „Goldenen Leseschere“ geehrt, wobei diese aufgrund der erbrachten Leistungen und der Gesamtperformance beim Arbeitseinsatz von allen gemeinsam ermittelt wird.

 

Literaturtipp:
Johann Werfring:
Weinbräuche in Österreich.
edition lex liszt 12,
reichlich illustriert, 311 Seiten,
Preis: 34 Euro.
Bezug im Buchhandel sowie unter www.morawa.at

 

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Einbringung der „letzten Fuhr“ mit Sang, Spiel und Juchezern. Matzen, um 1960. © Johann Werfring
Fröhlicher Ausklang der Weinlese vor dem Einbringen der „letzten Fuhr“ in Matzen (Weinviertel), um 1960. © Johann Werfring
© Johann Werfring
Der geschmückte Traktor von Martin Obenaus in Glaubendorf anlässlich der letzten Traubenfuhre. In Krems an der Donau wird noch heute im Rahmen des Hiata-Brauchtums an das alte Ritual mit dem Weingartenschlüssel erinnert. © Martin Obenaus
In Krems an der Donau wird noch heute im Rahmen des Hiata-Brauchtums an das alte Ritual mit dem Weingartenschlüssel erinnert.
Im Weingut Johann Donabaum in Spitz an der Donau wird alljährlich die „Goldene Leseschere“ verliehen. © Andrea Böhler