Ende April war es wieder so weit: Tausende Fachleute pilgerten nach Bordeaux um den jüngsten Jahrgang 2023 einer sensorischen Voranalyse zu unterziehen. 2023 präsentiert sich als Klassiker, wenn auch heterogen. Die Erntemengen sind hoch, die Preise sollen fallen.

Idyllische Rebenlandschaft in Grand-Cru-Lagen in Saint-Émilion. © UGCB

Es ist ein degustatorisches Ritual, das seit Jahrzehnten ähnlich abläuft: Bei den im April stattfindenden „En-Primeur-Verkostungen“ in Bordeaux werden die Jungweine – weiß wie rot, von der Basis bis zur Spitze – dem professionellen Weinvolk präsentiert. Dem Ruf der vielleicht klassischsten aller Weinherkünfte folgend, strömen Händler, Gastronomen, Sommeliers und Journalisten aus aller Welt in die Region und kosten Dutzende bis über Tausend Weine in wenigen Wochen.

Ich war als Vinaria-Chefredakteur auch heuer wieder vor Ort und machte mir ein – zugegebenermaßen immer mit gewissem Vorbehalt zu genießendes – Bild vieler Weine und des Jahrgangs insgesamt. Eine breite Auswahl an empfehlenswerten bis herausragenden Weinen wird in der kommenden Vinaria Ausgabe präsentiert, die Mitte Mai erscheinen wird.

Jahrgang mit Tücken

Dank des relativ kühlen und wenig sonnigen Winters 2022/23 erfolgte der Austrieb etwas verzögert, weswegen die gefürchteten Frostschäden im April 2023 nicht auftraten. Abwechselnd mildere und kühlere Perioden im Frühjahr führten zu einem unregelmäßigen Wachstum der Reben, wobei die Feuchtigkeit die Entwicklung von Peronospora begünstigte; diese Pilzkrankheit und der Kampf dagegen war ein Schlüsselfaktor in der gesamten Vegetationsperiode 2023. Es gab teils erhebliche Schäden, insbesondere bei den Merlots und dieses hohen Infektionsdrucks wegen waren die biologisch wirtschaftenden Güter oft stärker betroffen.

Doch waren eben nicht alle Weinberge in gleicher Weise betroffen. Pessac- Léognan hatte schweren Befall, auch große Teile des Libournais und das südliche Médoc waren betroffen, von Saint-Julien nordwärts war deutlich weniger Krankheitsdruck und in Pauillac und Saint-Estèphe schließlich gab es wenig bis gar nichts. Dies wirkte sich maßgeblich auf den Ertrag aus, der potenziell hoch war in diesem Jahr, aber natürlich bei ungenügendem oder falsch terminisiertem Pflanzenschutz auch krass abwärts gehen konnte.

Der Mai war sonnig, warm und eher trocken und begünstigte das Wachstum und die Blüte der Reben, die besonders schnell und gleichmäßig verlief – und so die Basis für hohe Erträge lieferte. Im Juni wurde das reiche Ertragspotenzial noch weiter befeuert, als der fehlende Wasserstress während des Fruchtansatzes die Entwicklung der Beeren zusätzlich stimulierte.

Wie der Sommer: Reich an Kontrasten

Der Sommer war dafür bis Mitte August reich an Kontrasten: Er war zwar etwas wärmer als der Durchschnitt, aber insgesamt eher trüb und trocken, jedoch mit regelmäßigen Gewittern. Diese Bedingungen führten zu einem frühzeitigen Beginn des Farbwechsels, der allerdings fast einen Monat dauerte. Das fortgesetzte vegetative Wachstum ließ befürchten, dass die Trauben nicht die nötige Reife erreichen würden. Glücklicherweise änderte sich die Situation ab dem 16. August drastisch, als eine in dieser Phase des Reifezyklus noch nie dagewesene Hitzewelle einsetzte, wodurch das Wachstum der Reben eingestellt wurde. Die Trauben reiften unter guten Bedingungen, und mit Ausnahme der jungen Reben auf gut durchlässigen Böden oder der Trauben, die zu viel Sonne abbekommen hatten, gab es kaum Schrumpfbeeren.

Die Merlot-Ernte begann in der ersten Septemberwoche und in der darauffolgenden Woche setzte die haupternte bei dieser Sorte ein. Um den 20. September gab es heftige Niederschläge, was sich auf die Lese der Cabernets auswirkte. Manche entschlossen sich vor der prognostizierten Regenphase zu ernten, andere danach. Das Ende der Ernte verlief unter optimalen Bedingungen.

Bei den Trauben für trockene Weißweinen freute man sich über gute Säurewerte und aromatisches Potenzial. Die Ernte war früh: Die Hauptlese bei Weißwein begann im letzten Augustdrittel und endete Anfang September. Das Wetter in den Weinbergen des Sauternes war im September abwechselnd feucht und trocken. Botrytis cinerea entwickelte sich auf den vollkommen reifen und gesunden Trauben ab Mitte September, also erfreulich früh. Das trockene und außergewöhnlich warme Wetter danach führte zu einer sehr raschen Konzentration der Trauben. Die Lese ging ab Ende September bis Anfang Oktober los und wurde recht rasch beendet.

Die Kampagne 2023, fallende Preise

In wirtschaftlicher Hinsicht hat Bordeaux schon rosigere Zeiten gesehen. So lief etwa die En-Primeur-Kampagne 2022 trotz des hervorragenden Jahrgangs merklich weniger gut als erhofft – ein Trend, der sich bereits in den Jahren davor abzeichnete. Bordeaux steht sich dabei teils auch selbst im Weg: die riesige Region liefert alljährlich dementsprechende Mengen an Wein, der fast jährlich Preissteigerungen erfährt. Dafür ist die Verfügbarkeit an teils hervorragenden älteren Jahrgängen zu vergleichsweise günstigen Preisen sehr gut.

2023 waren die Erntemengen vielfach sehr hoch, nicht wenige Château – darunter auch sehr berühmte Güter – wurden reich beschenkt: 20 bis 50 Prozent Mengenzuschlag im Vergleich zu den letzten Jahren waren keine Seltenheit, nur in wenigen Gegenden gab es Mindermengen.

Ausgegangen wird daher davon, dass die Preise im Vergleich zum Vorjahr deutlich fallen werden – die Rede ist von 20 bis 30 Prozent. Die Bekanntgabe der Preise soll in diesem Jahr besonders früh und in relativ kurzer Abfolge geschehen.

 

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