Der sinkende Weinkonsum wird zu starken Veränderungen in der Branche führen. Trotzdem sieht der ProWein Business Report 2023 einen „Silberstreifen am Horizont“. Die Studie hat auch einen Rat zur Lage parat: „Kopiert nicht das AOC-System, es hat keine Zukunft"

Zu viel, zu kompliziert, zu unrentabel. Das ist das Ergebnis des ProWein Business Report 2023, den Professorin Simone Loose, Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim (Deutschland), im Auftrag von Europas größter Weinmesse ProWein ausgearbeitet hat. Für diese Studie befragte sie 2.000 Mitglieder der Weinindustrie, darunter Produzenten, Exporteure, Importeure, Weinfachhändler sowie Vertreter der Gastronomie und Hotellerie der wichtigsten Weinbauländer Europas und aus Übersee.

Die Lage der Weltwirtschaft wird darin weiterhin als fragil eingeschätzt. 59 Prozent der Befragten waren besorgt über den globalen wirtschaftlichen Abschwung, fast die Hälfte über den rückläufigen Weinkonsum. Fast drei Viertel nannten Kostensteigerungen als eine Bedrohung für ihr Unternehmen. Lieferkettenprobleme wurden deutlich weniger oft als Probleme genannt – allerdings fand die Umfrage statt, bevor Huthi-Rebellen das Rote Meer und den Suezkanal für die Schifffahrt fast lahmlegten, was zu weiteren Problemen und Preissteigerungen in der globalen Logistik führt.

Zwei von drei Unternehmen und Weingüter haben ihre Kostenstruktur verbessert. Jeder zweite Weinhändler hat sein Portfolio durch Auslistung unrentabler Weine gesenkt - was zugleich den Wettbewerbsdruck auf Produzenten, Exporteure und Importeure erhöht. 54 Prozent der Händler und 60 Prozent der Produzenten verzeichneten 2023 geringere Profite. Mitarbeiter wurden aber aufgrund des Arbeitskräftemangels kaum eingespart. Loose beschreibt die Situation so: „Arbeitskräfte sind knapp, also versucht man, sie so lange wie möglich zu halten."

Basissegment gewinnt, Premiumweine verlieren

Das einzige Marktsegment, das 2023 in Deutschland einen Zuwachs verzeichnete, war das der günstigen und populären Weine. Im Handel verloren Premiumweine zwölf, die Mittelklasse sieben Prozent. Dafür legte das Basissegment um zwölf Prozent zu. Dieser Trend werde sich laut Business Report fortsetzen. Bei den Weinproduzenten verloren alle drei Segmente leicht.

Die Regionen, in denen der Handel den größten Rückgang der Premiumwein-Verkäufe meldete, sind Nordamerika (USA und Kanada) mit minus 42 Prozent und Skandinavien (Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden) mit minus 43 Prozent. Das bedeutendste Wachstum im populären Segment wurde in den Niederlanden (20 Prozent), Österreich (18 Prozent) in der Schweiz (15% Prozent) verzeichnet. Deutsche Händler verloren elf  Prozent im Premium- und fünf Prozent im Mittelsegment, Basisweine legten um 13 Prozent zu.

Gründe für sinkenden Konsum

Als einer der Hauptgründe für den rückläufigen Weinkonsum wird das geringere verfügbare Einkommen der Konsumenten genannt. Gesundheitstrends bringen zudem viele, vor allem jüngere Konsumenten dazu, entweder auf Alkohol zu verzichten oder auf Getränke mit geringerem Alkoholgehalt umzusteigen („NoLo“-Bewegung). Davon könnte aber auch die Weinbranche mit einem größeren Angebot an entalkoholisierten Produkten profitieren, schreiben die Geisenheimer Marktforscher. Als noch größere Bedrohung für die Weinszene erweisen sich allerdings andere Getränke wie Bier und Spirituosen, die vor allem in Nordamerika, Skandinavien und den Niederlanden auf Kosten des Weines deutlich zulegten.

Simone Loose erklärte, dass große Akteure in der globalen Branche alkoholischer Getränke im Vergleich zu vielen Weinproduzenten einen Vorteil durch ihre deutlich größeren Werbebudgets hätten. 91 Prozent der für den Report befragten französischen Weinproduzenten gaben an, dass andere alkoholische Getränke die jüngeren Verbraucher besser erreichen könnten. Diese Ansicht wird in den meisten Produzentenländern geteilt – mit Ausnahme von Österreich.

Die Schlussfolgerung im ProWein Business Report lautet: Die Branche müsse alles daran setzen, den Gesundheitstrend für sich zu nutzen und Alternativen wie „No-and-Low“-Weine zur technischen und sensorischen Reife zu bringen, damit sie vom Handel und den Konsumenten als ernsthafte Alternative zum Wein wahrgenommen werden. „Der Trend des rückläufigen Konsums wird nicht verschwinden, wenn die Wirtschaft wieder anzieht", betont Professorin Loose.

Wein muss leichter verständlich werden

Eine deutliche Mehrheit der Branchenexperten spricht sich zudem dafür aus, dass Wein in der Kommunikation leichter verständlich dargestellt werden muss. Andere alkoholische Getränke hätten ein weniger elitäres Image und erreichten damit vor allem junge Konsumenten besser. Um mit den Marketingausgaben anderer Getränke konkurrieren zu können, müsse Wein wieder profitabler werden.

„Kopiert nicht das AOC-System, es hat keine Zukunft"

Eine vereinfachte Kommunikationsstrategie wird sich auf das Weinrecht und damit auf die Weinbaupolitik auswirken. Geografische Abgrenzungen werden laut Business Report an Bedeutung verlieren, da sie ohnehin nur die sehr interessierten Weinfans ansprechen würden. Loose fordert daher: „Kopiert nicht das AOC-System, es hat keine Zukunft". Damit erscheinen die aktuellen Diskussionen um Lagenklassifizierungen in Deutschland und Österreich nach burgundischem Vorbild in einem neuen Licht. Stattdessen müssten sich Handel und Produzenten auf neue, für Kunden verständliche Konzepte einigen, um neue Zielgruppen zu erreichen.

„Wir müssen weniger produzieren!“

Trotz des seit Jahren sinkenden Weinkonsums seien die Produktionsflächen und -mengen bis vor Kurzem gleich geblieben. Das habe zu einem weltweiten Überangebot geführt. Drei Viertel der Produzenten beobachten daher ein Ungleichgewicht im Markt, das zu Lasten der Trauben- und Fassweinpreisen geht. Aufgrund der langfristigen Investitionen in Anlagen und Maschinen seien die Produzenten aber über Jahrzehnte an ihre Weinberge gebunden. Die Folge ist ein für viele Betriebe ruinöser Preiswettbewerb.

Die Mehrheit der Erzeuger befürwortet daher eine Reduzierung des Überangebotes durch Stilllegen von Weinbergen oder eine andere Nutzung der Weinbauflächen. Die Frage, ob dafür staatliche Hilfen notwendig seien, haben fast 50 Prozent der Produzenten mit „Ja“ beantwortet. Ebenso viele halten dagegen eine öffentliche Unterstützung nicht für nötig.

Silberstreifen am Horizont

Der Klimawandel tritt durch das schwierige wirtschaftliche Umfeld zur Zeit etwas in den Hintergrund. Die Mehrheit der Branchenteilnehmer erwartet zudem für 2024 eine leichte Besserung der Lage, einen "Silberstreifen am Horizont". Unbestritten sind von den meisten aber die großen Herausforderungen der Branche, die große Veränderungen bedeuten werden: Marktbereinigung, Professionalisierung, verbesserte Kommunikation mit neuen Verbraucherschichten. Dafür müsse die Weinszene ihre Produktionsstruktur, ihr Produktangebot und ihre Kommunikation an die Bedürfnisse der Gegenwart und Zukunft anpassen. So lautet die Schlussfolgerung im Report: Je schneller dies gelingt, desto größer wird der Wein-Anteil im Getränkerepertoire der Verbraucher bleiben.

Quellen: Hochschule Geisenheim; weinplus.de