Wir schreiben anno 1983, Gault & Millau ist ganz jung in Österreich und vergibt erstmals den Koch des Jahres – an eine Frau, an Lisl Wagner-Bacher. Die Sensation war perfekt, eine der größten Köchinnen entdeckt. Der Rest ist Gourmet-Geschichte. Im Gespräch mit Vinaria Herausgeber Erwin Goldfuss zieht die Grande Dame Bilanz.

Family Business (v.l.): Thomas Dorfer, Susanne Dorfer, Lisl Wagner-Bacher, Klaus Wagner, Christina Kopriva-Wagner © Landhaus Bacher

Vinaria: In Zeiten des Genderns und der drei amtlichen Geschlechter (m/w/d) würde es niemanden wundern, aber vor 40 Jahren war es eine Sensation: Der erste Gault&Millau-Koch des Jahres war 1983 eine Frau! Wie hast du das damals erlebt?

Lisl Wagner-Bacher: Ich bin gerade vom Tennisspielen nach Hause gekommen, da war ein Brief in der Post: „Sie sind Koch des Jahres!“ stand da. Ich war sehr überrascht und wusste noch gar nicht, was das bedeutete. Dann ist es losgegangen, so ein unglaublicher Medienrummel, das hatte die Gastronomie davor noch nie erlebt.

Der Koch des Jahres wurde in Österreich erstmals vergeben, Gault & Millau Österreich war bei uns noch ganz jung.

Drei Jahre davor hatten wir die Ausschreibung von Gault & Millau zur Datenerhebung noch weggeschmissen, weil wir dachten, dass es
Werbung war.

Da war ich fassungslos: „Christian Millau bei mir zu Gast!“

Aber der Kritikerpapst Christian Millau hat doch zusammen mit Österreich-Chef Michael Reinartz bei dir gegessen?

Ich habe das damals gar nicht glauben können und war sehr aufgeregt: Millau bei mir im Haus! Erst später haben wir erfahren: Millau wollte sich persönlich überzeugen, bevor der erste Koch des Jahres in Österreich vergeben wird, an eine Frau.

Danach ging’s ab wie eine Rakete ...

Und wie! Ich habe das alles wie in Zeitraffer erlebt, plötzlich waren Fernsehteams da, in den größten Zeitungen Artikel, viele Fotografen. Wir haben jeden Tag Vollgas gegeben, laufend etwas verbessert, verfeinert, viel investiert.

Wie hast du deine große Ehrung in Erinnerung?

Als wenn es gestern gewesen wäre! Mittags hatten wir die Koch-des-Jahres-Gala, abends hatte Helmut Romé, der Falstaff-Gründer, schon für sein Dinner de Plaisir das ganze Restaurant reserviert. Ich bin 22 Stunden in der Küche gestanden, alles ist gut gegangen, und danach habe ich mich mit Champagner ordentlich gestärkt.

Was ist doch Gastronomie für ein schöner Beruf!

In den Top-Küchen standen vor 40 Jahren fast ausschließlich Männer, heute überwiegend. Wie haben die reagiert, der Werner Matt, der Rudi Kellner vom Altwienerhof, Helmut Österreicher im Steirereck?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Es gab natürlich einige Neider, bis rüber nach Tirol, dort saß damals ja der bekannteste Promikoch Österreichs. Aber alle hielten sich bedeckt. Männern wollte ich nie etwas beweisen, sondern immer nur gut für meine Gäste sein. Ich war mit Leib und Seele Gastgeberin. Was ist doch die Gastronomie für ein schöner Beruf!

Was hast du anders gemacht als die anderen Spitzenköche?

Keine Ahnung, und mir war es egal. Fast alles, was ich damals gemacht habe, war neu. Das Um und Auf waren für mich die bestmöglichen Produkte, heute ist das modern. Genauso Gemüse, das hatte in meiner Küche immer eine große Rolle. Meine Lieferanten kamen aus ganz Österreich, der Fleischer zum Beispiel vom Arlberg. Oder der Herr Aibler, damals noch lange nicht Eishken Estate, aber der Pionier der frischen Fische.

„Mein Mann Klaus war immer mein strengster Kritiker“

Du hast Gymnasium und Hotelfachschule absolviert, als Köchin bist du aber eine Quereinsteigerin, hast im elterlichen Betrieb laufen gelernt. Was hat dich in die Küche getrieben?

Da sitzt er! (deutet auf ihren Mann) Mein Klaus war der Grund. Hätte ich einen Koch geheiratet, wäre ich ins Service gegangen. So war mir die Küche bestimmt, anfangs mit meiner Mama, Klaus übernahm das Service.

Und den Wein?

Er musste vom Bier- zum Weintrinker mutieren, das hat er ausgezeichnet geschafft, wie die Folgejahre bewiesen haben. Wir hatten 1976 geheiratet, und ich habe ihn gewarnt: Wenn du mich nimmst, dann heiratest du einen Betrieb. Klaus war damals Bauingenieur, er hat aber keine Sekunde gezögert: Dann machen wirʼs gemeinsam! Klaus war danach immer mein strengster Tester.

Tag und Nacht hast du angeblich Kochbücher gelesen ...

Ja, auch beim Friseur. Ich habe mir vieles angelesen, ausprobiert und angeschaut. Klaus und ich waren, wenn es die Zeit erlaubte, unterwegs in den damals besten Lokalen, ich habe einige, kurze Praktika gemacht.

Kochbücher auch beim Friseur gelesen

Von Werner Matt hast du viel gelernt, damals der Mister Nouvelle Cuisine in Österreich.

Er hatte das Prinz Eugen im Wiener Hilton, und ja, ich habe viel gelernt. Noch mehr aber von seinem Souschef Reinhard Gerer und auch von Dieter Müller in Deutschland.

Euer Familiengasthof Bacher war da schon ein kulinarischer Magnet seit den 1950er-Jahren. Als die Wachau-Filme in Mode waren und die Filmstars „beim Bacher“ einkehrten.

Ja, weil meine Eltern damals schon mit Backhendln, frischem Fisch und Wildgerichten bekannt wurden. Bei uns wurde immer schon anders gekocht, als es damals in vielen Lokalen üblich war. Neben vielen Größen ist auch der Bundespräsident Schärf privat gekommen, wenn er sonntags einen Ausflug in die Wachau unternommen hatte.

Warum nannten die Einheimischen deinen Vater den blinden Wirten?

Vati hatte eine Kriegsverletzung, er war blind. Seinen Beruf aber hatte er geliebt, Koch, Kellner und Fleischer gelernt. Er hat ganz viele Gäste an den Stimmen erkannt.

Backhendl und Schweinsbraten waren einst die Hits. Du hast die Gäste dann mit roh marinierter Gänseleber und Hummersuppe verblüfft – wie war die Reaktion?

Interessiert, hellhörig, positiv. Die Gäste waren neugierig, ich wollte sie immer verwöhnen, nie erziehen. Meine damals neue Küche war leichtfüßig, mediterran. Sie sind aber ganz toll meinen Weg mitgegangen. Und immer neue sind gekommen, aus vielen Stammgästen sind Freunde geworden.

Wiener Schnitzel überall auf der Karte, aber selten gut

Suppen, Saucen, Marinaden hatten es dir schon immer angetan?

Daran erkennt man wirklich große Küchenchefs. Ein Stück Fleisch zu braten, wenn die Qualität stimmt, ist keine Kunst. Beim echten Wiener Schnitzel schaut es schon ganz anders aus. Das steht fast überall auf der Karte, aber selten ist es wirklich gut.

Deine erste Haube hast du 1982 bekommen, die zweite ein Jahr später, zusammen mit dem Koch des Jahres, die dritte mit 18 Punkten 1988. Ab 2005 durftest du dich mit zwei Michelin Sternen schmücken?

Wir kamen gerade vom Trüffelsuchen aus Italien zurück; auf der Heimfahrt hat uns Thomas angerufen und die freudige Mitteilung überbracht. Wir haben dann erfahren, dass wir gleich zwei Sterne bekommen hatten. Diesen Erfolg haben wir zu Hause gemeinsam gefeiert. Die Tester hatten wir im Jahr davor nicht bemerkt – und dann gleich zwei Sterne, ein Wahnsinn!

Wie wichtig waren und sind heute die Restaurantführer?

Es ist halt jedes Jahr eine Zeugnisverteilung; die Bedeutung der Führer hat sich verändert, sie sind aber sinnvoll und wichtig. Auch als Nachschlagewerk für die Gäste.

Als erste Frau Gastkoch beim St. Moritz Gourmet Festival

Meilensteine hast du auch im Ausland gesetzt?

Zum Beispiel beim St. Moritz Gourmetfestival 1998. Da war ich als erste(r) Vertreter(in) Österreichs und erste Frau überhaupt eingeladen. Große Gala im Zelt mit 350 Gästen am zugefrorenen St. Moritz See und Standing Ovations für meinen Milchrahmauflauf, unter anderem von den Koch-Ikonen Paul Bocuse und Roger Vergé, Busserl inklusive. Ein unvergessliches Erlebnis!

Grande Dame der österreichischen Küche hat man dich genannt, das Landhaus Bacher ein kulinarisches Aushängeschild des ganzen Landes. Du bist aber immer Familienmensch geblieben. Wie hast du das unter einen Hut gebracht?

Wir waren immer eine große Familie, die zusammengeholfen hat, das ist vor allem mit Kindern ganz wichtig. Dazu das Wohnen beim Betrieb. Meine Familie geht mir über alles, ich freue mich über zwei wunderbare Töchter und fünf Enkel.

Tochter Suanne und dein Schwiegersohn Thomas führen dein Lebenswerk höchst erfolgreich fort ...

Das ist mein größtes Glück!

In einem Interview hast du mal gesagt: „Ich habe immer ein Leben geführt, niemals zwei“. Heißt was?

Die Kinder habe ich immer integriert, so gut wie möglich. Einmal war Billa-Gründer Karl Wlaschek bei mir im Kochkurs, den er geschenkt bekommen hatte. Am Ende ließ er mir einen Blumenstrauß bringen und hat gesagt: „Wie Sie mit ihren Kindern umgehen, das finde ich toll. Dass Sie kochen können, habe ich eh gewusst.“

Geschichte geschrieben hast du auch als erster Koch des Jahres mit Werbevertrag. Legendär sind du und das Kronenöl. Wurde damit ein Tabu gebrochen?

Das hatte vorher in der Tat niemand gemacht. Zuerst haben wir die Anrufe der Agentur gar nicht ernst genommen. Dann war das aber ein stimmiges Konzept, also hab ich mich drüber getraut. Und das Kronenöl wurde Marktführer.

Was waren die liebsten Gerichte, die du gekocht hast; die besten, die du entwickelt hast?

Das Kaviar-Ei, der bretonische Hummer, der Wildfang-Steinbutt, die Schnitte von Kalb und Rind, Jakobsmuscheln mit Perigord-Trüffeln und in den Wintermonaten Gerichte mit weißen Trüffeln aus dem Piemont. Nicht zu vergessen natürlich der Milchrahmauflauf im Strudelblatt. Österreichische Mehlspeisen neu interpretiert waren mir immer wichtig.

Diese Klassiker wird es zum Teil auch bei deiner Gala beim wachauGOURMETfestival geben, ausgerechnet am 1. April!

Ja, und darauf freue ich mich schon. Ich mache das zusammen mit meinem Schwiegersohn und Nachfolger Thomas Dorfer, er feiert 20 Jahre im Landhaus Bacher.

Während sich andere Gastrofamilien in Generationenfehden zerfleischt haben und Prachtbetriebe dabei draufgegangen sind, harmonierst du mit Thomas, dass es fast schon kitschig ist.

Der Thomas war schon früher bei uns, ist dann in die große Welt der besten Köche hinaus, war gerade beim 3-Sterner Bareiss in Deutschland, wollte wieder zurück nach Österreich. Da hat es sich ergeben, dass er mit meiner Tochter Susanne geflirtet hat, daraus ist mehr geworden, und der Rest ist bekannt.

„Der Thomas (Dorfer) ist wie mein Sohn“

Seit 20 Jahren ist Thomas in eurem Haus, seit 2013 als Küchenchef. Wie habt ihr so eine perfekte Übergabe geschafft?

Der Thomas ist wie mein Sohn, die Chemie passt auf dem Punkt, und er führt meine Philosophie einzigartig fort, aber in seinem Stil und modernisiert. Vegetarische Gerichte zum Beispiel hatte ich immer schon auf der Karte, Thomas ein ganzes Menü. Mein Gott, was kann man aus einer simplen Karotte Herrliches machen!

Dreifaches Jubiläum also dieses Jahr im Hause Wagner-Bacher: 40 Jahre Koch des Jahres, 20 Jahre Thomas Dorfer in deiner Küche und im Herbst dann noch dein jugendlicher Siebziger. Klingt nach Stress!

Mein Klaus hat schon zu meinem Sechziger gesagt: du und kein Fest? Das geht gar nicht! Er wird sich sicher etwas einfallen lassen, aber daran denke ich noch nicht. Ich hatte immer schon ein Faible für große Runden, schön gedeckte Tische und viel Blumen.

Blumen haben es dir besonders angetan?

Mit Blumen gehe ich durch die Jahreszeiten wie mit Gemüse. Sie begleiten mich durch das ganze Jahr. Und apropos: Zum Muttertag gehören Maiglöckchen und Vergissmeinnicht, keine Rosen.

Maiglöckchen zum Muttertag, keine Rosen!

So richtig in Pension gegangen bist du nie?

In meinem Leben habe ich so viel gemacht, in so viele Berufe hineinschnuppern, mit so tollen Menschen und Produkten arbeiten dürfen; das schärft den Weitblick, das kann man nicht an den Nagel hängen.

Lisl’s feine Speisen machst du jetzt, eine Produktpalette für Zu Hause, Buchautorin bist du, Fernseh- und Gastköchin ...

Das mit den Glasln für die feinen Speisen haben wir während der Pandemie entwickelt. Das ist eine Art Festtagslinie, von denen es wechselnd ein paar Gerichte auch bei Billa gibt. Saucen und Marmeladen gibt es bei Feinkost Käfer in München, bei Meinl am Graben und im Schwarzen Kameel in Wien.

Alles aus der Manufaktur, ohne Konservierungsmittel und so?

Klar, Saucen, Suppen, Dressings, Jus und Fonds, Marmeladen, Knödel, Kaiserschmarren.

Wie wählst du die Gerichte aus, was steckt dahinter?

Meine Bauchküche.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

ZUR PERSON:  Lisl Wagner-Bacher
Lebt in: Mautern an der Donau, Wachau
Jahrgang: 1953
Sternzeichen: Skorpion
Familie: Verheiratet mit Klaus Wagner seit 1976, Töchter Susanne und Christina, fünf Enkel
Essen: Gemüse nach Jahreszeiten, vor allem Artischocken, Puntarelle und Fenchel
Trinken: Mittelgewichtige Grüne Veltliner und Champagner
Reiseziel: Mauritius
Sport: Golf, früher Tennis, Walken
Auto: Oma-Auto, in dem wir alle Platz haben und bei dem man alles umklappen kann
Hobby: Garten, Pflanzen, Blumen und schöne Dekorationen – alles, was das Herz erfreut!
Lebensmotto: Dankbar und zufrieden sein
Was stört: Unhöflichkeit

 

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Lisl Wagner-Bacher und Klaus Wagner © Stefan Fuhrer
Grand Dame Lisl Wagner-Bacher © Alexander Kaufmann
Alle großen Zeitungen überschlugen sich mit Reportagen über Lisl Wagner-Bacher als erster „Koch des Jahres“ in Österreich. Ganz rechts unten mit dem Pokal von Gault & Millau. © Archiv Landhaus Bacher
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