Wahrhaft große Vertikalen, die Dekaden umfassen, sind rare Ereignisse. Noch dazu, wenn es sich um Ikonenweine handelt, wie den Blaufränkisch Mariental von Ernst Triebaumer, den „E.T.“, aus Rust. Für Aufsehen sorgte eine Vertikale über gar 31 Jahrgänge, von 1989 bis 2020.

In der Vinaria Hall of Fame: Ausnahmewinzer Ernst Triebaumer erhielt 2017 die Vinaria Trophy für sein Lebenswerk. © ViennaPress / Andreas Tischler

Diese geballte Phalanx an Marientalern kam beim Edelheurigen-Wirt Bernd Pulker in der Wachau ins Glas. Herbert und Gerhard Triebaumer kommentierten, hatte das Ereignis doch auch für die Winzerbrüder einigen Seltenheitswert. Gleich vorweg ein essentielles Zitat von Gerhard Triebaumer: „Lasst’s euch nie mehr erzählen, dass ein kühler Jahrgang ein schwacher Rotwein- Jahrgang ist!“ Verkostet wurde aus Zalto Gläsern der Denk’Art Serie.

Das Phänomen Mariental von „E.T.“

Anfang der Achtzigerjahre war das kleine Weingut von Ernst Triebaumer, wie die allermeisten Ruster Betriebe, für ausgezeichnete Süßweine, vor allem den Ruster Ausbruch, bekannt; auch Rotweinsorten wie Blaufränkisch und Blauburgunder wurden seinerzeit gerne als süße Auslesen und Beerenauslesen ausgebaut.

Mit dem Jahrgang 1983 hat Ernst Triebaumer erstmals gewagt, einen kraftvollen, tanninhaltigen Rotwein nach internationalem Vorbild hervorzubringen, der dann auch prompt den dritten Platz bei der schon damals groß angelegten Vinaria Verkostung belegt hat; eine Riede wurde auf dem Etikett aber noch nicht angegeben.

1985 wurde die begnadete RotweinRiede Mariental dann erstmals lagenrein abgefüllt, und zwar in zwei Varianten: nämlich wie üblich im großen Fass gereift und erstmals auch in Barriques. Die große Erweckung fand allerdings ein Jahr darauf mit dem legendären Jahrgang 1986 statt, der bei Vinaria den ersten Platz belegt hat, worauf Vinum und Falstaff nicht nachstehen wollten.

Vier Kinder und kein Mercedes

Die darauffolgende, ohne Unterbrechung andauernde Erfolgsstory ergibt sich eo ipso aus den folgenden Degustationsnotizen. Dennoch blieb Familie Triebaumer in der ungewissen Zeit nach Überwindung des Weinskandals zurückhaltend und bescheiden, sodass „Der Spiegel“ sein Weingut-Porträt mit dem Titel „Vier Kinder und kein Mercedes“ sehr treffend einleitete.

Die Bezeichnung der Lage Mariental an der Grenze zu Oggau leitet sich vermutlich von „Moriteil“, also die Mark teilen, sprich die Grenze abstecken, ab. Die sich von 160 bis 220 Meter Seehöhe erstreckende Riede ist nach Süden bis Südosten ausgerichtet und blickt zwar auf den Neusiedler See, ist aber weit genug von diesem entfernt, um nicht allzu großem Botrytis-Druck ausgesetzt zu sein. Ihr oberer Abschnitt besteht unter der lehmigen Humusauflage aus Kalksand mit Korallenanteilen, im unteren Teil überwiegen Schwemmböden.

Nur der Ertrag der ältesten Stöcke

Nun ist die Riede zwar hübsch gelegen, aber nicht unbedingt als spektakulär zu bezeichnen. Auf der Suche nach dem Erfolgsgeheimnis haben daher so manche wissbegierige Mitbewerber sogar Bodenproben entnommen und Rebholz geschnitten, was sich jedoch als sinnlos erwiesen hat. Erwähnenswert ist allerdings, dass nur der Ertrag der ältesten Stöcke in den Lagenwein Eingang findet; die Reben mittleren Alters dienen der Cuvée „Maulwurf“ und die Trauben aus dem jüngsten Rebbestand gehen in den klassischen Basis-Blaufränkischen. Auch bei der Vinifikation gibt es keinen Zauberstab, äußerste Zurückhaltung bei Eingriffen und geduldige Reifung sind freilich selbstverständlich, wobei mit den Jahren verstärkt wieder größeres Fassholz zum Einsatz kommt.

Die Lagerfähigkeit einzelner Jahrgänge ist mittlerweile auch bereits legendär, dennoch verblüffen so manche Proben schon in der frühen Jugend. Als Hugh Johnson im Ruster Keller einst solch einen vielversprechenden „Embryo“ verkostete, meinte er: „Ganz ausgezeichnet, der ist ja schon gut zu trinken, aber wie sieht es mit seiner Lagerfähigkeit aus?“ Den Gegenbeweis konnte Vinaria Autor Viktor Siegl zur Verblüffung des britischen Doyens noch am selben Abend liefern, nämlich in Gestalt einer fulminanten 1986er Magnum, die er kurzerhand zum abendlichen Ausklang ins Restaurant Steirereck mitnahm.

An gleicher Stelle hat der deutsche Weinkritiker Jens Priewe nach gedecktem Verkosten des Mariental-Blaufränkischen spontan ausgerufen: „Ich sag’s ja immer, ein Cabernet ist doch am besten.“ Mit dieser nicht unverständlichen Einschätzung war er freilich nicht allein, hielt sich doch einige Jahre hartnäckig das Gerücht, dass im Marientaler ein erheblicher Anteil Cabernet Sauvignon wäre, was allerdings niemals der Fall war.

Wer sich glücklich schätzen kann

Über die Haltbarkeit der einzelnen Jahrgänge lässt die nachfolgende Degustationsreihe ja bereits gesicherte Aufschlüsse zu, wobei vielleicht anzumerken ist, dass es Familie Triebaumer seit jeher ein Anliegen ist, auch die sogenannten kleineren, oftmals kühleren Jahrgänge diesbezüglich nicht zu unterschätzen.

Glücklich sollte sich jedenfalls jeder Weinfreund schätzen, der einige Jahrgänge dieser sagenumwobenen Weinlegende im Keller hat, und am glücklichsten werden jene strahlen, die der Versuchung widerstanden haben, sie bereits in der ersten Hochblüte zu öffnen.

 

Topliste Blaufränkisch Mariental, Ernst Triebaumer

Die allerbesten Jahrgänge in dieser Reihenfolge. 5 Sterne = 17,5 bis 20,0 Punkte Vinaria.

***** | 1994
***** | 1989
***** | 1990
***** | 2004
***** | 2016
***** | 2003
***** | 1999
***** | 2019
***** | 2013
***** | 2009
***** | 2012
***** | 2020
***** | 2000

 

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KOSTNOTIZEN

Vertikale Blaufränkisch Mariental, Ernst Triebaumer, Rust

Die Vertikale fand im Edelheurigen von Bernd Pulker in Rossatz-Rührsdorf am südlichen Ufer der Wachau statt. Die Weine waren perfekt gelüftet und temperiert, teils dekantiert, einige Jahrgänge waren in Magnums gefüllt (bei den Notizen angemerkt). Bei ein paar Weinen kam es zum direkten Vergleich von Kork und Glasverschluss.

5 Sterne entsprechen Wertenoten von 17,5 bis 20 Punkten. Bei 4 Sternen liegt die Bandbreite bei 16,5 bis 17,4 Punkten, bei 3 Sternen bei 15,5 bis 16,4 Punkten. Details sind auf Seite 4 dieser Ausgabe zu finden.

*****
2020
Verblüffend gut antrinkbar, wunderschöne, noch primäre Frucht, weiche Tannine, dezent präsente Säure, unglaublich saftig, tolle Struktur und Länge.

*****
2019
Dichter, intensiver, großer Stoff, schon feine Tannine, vielschichtige Struktur, komplexes Frucht-Säure-Spiel, intensiv am Gaumen, straff, großartige Länge.

****
2018
Noch jung, fast ungestüm, fordernd, präsente Säure, primäre Frucht und mittlere Länge, braucht noch Zeit für Entwicklung und Harmonie.

*****
2017
Großer Wein aus ebensolchem Jahrgang, bereits Hochgenuss in allen Facetten, feine, ganz dunkle Frucht, viel Würze (Minze!), füllig, cremig, saftig, endlos. Etwas weicher als der 2016er.

*****
2016
Charismatischer Wein aus säuregetragenem Jahrgang, fast atypisch für Mariental, gute Tannine; viel Weichsel und Kirsche, stoffig, extrem präsent und präzise, tolle Struktur, Tiefe und Länge. Kann sich mit den größten Barolos 2016 problemlos matchen, enormes Potenzial.

*****
2015
Hochfein, perfekte erste Reife, saftige dunkle Frucht, Brombeeren, endlos lang, gaumenfüllend, schön gereifte Tannine. Gut vergleichbar mit 2000/2003/2011.

***
2014
Kein „echter“ Mariental, sondern eine Cuvée mit dem Oberen Wald, geschuldet dem nasskalten Wetter dieses Jahrgangs. Noch jung, fordernd, atypisch.

*****
2013
Ten years after und noch so jugendlich! Ultrastraff, braucht Luft und vor allem Zeit, fordernde Tannine, rotbeerige Frucht, engmaschig; der Wein „arbeitet an sich“, deutet sein Riesenpotenzial für Jahrzehnte an.

*****
2012
Üppig, dicht, saftig, an der Grenze zur perfekten Trinkreife, dunkler Fruchtkorb von Herzkirschen bis Zwetschken, Röster, etwas Rotweinsüße, perfekter Fluss.

*****
2011
Überraschend jung und lebhaft, sehr präzise Aromen und Würze, engmaschig, dicht, strukturiert, ausbalanciert, kraftvoll, aber nie üppig, große Zukunft.

****
2010
Feinnervig, Frische versprühend, spannend, getragen auch von angenehmen Gerbstoffen, zupackend, schöner Abgang, ein atypischer 2010er, braucht noch.

*****
2009 Kork
Extrem dichter Stoff, wunderbar reifer, dunkler Fruchtkomplex, feine Gerbstoffe, gute Würze, sehr präsent, schöne Tannine, endloser Abgang, majestätisch.

*****
2009 Glas
Sehr gleichwertig dem verkorkten Kollegen, auch in der Bewertung; schmeckt etwas „leichter“ mit einer Nuance mehr Frucht, würzig, Minze.

****
2008 Kork
Noch fast verschlossen, kühle Aromatik, animierend und zupackend, feine Gerbstoffe stärken das Rückgrat, dicht, vielschichtig, schöne Länge, Zukunft.

****
2008 Glas
Gegenüber dem Korker sehr geschliffen, feinnervig, noch jugendlich, präzise Frucht, etwas grüner Tee. Im Duell mit dem Kork knapp unterlegen.

*****
2007
Kühle Würze, etwas Waldboden, dicht und lang, präzise Säure und feine Gerbstoffe, kein Faserschmeichler, aber ein Monument, unzerstörbar, ewiges Leben.

*****
2006
Extrem heißer Jahrgang; sehr elegant und balanciert, ausgewogene Textur, tolle Nase, Aromen-Feuerwerk, Hauch junger Tannine und Gerbstoffe, tiefgründig, am Beginn der wahren Genussreife.

****
2005 Kork
Sehr stoffig, engmaschig, reduktive Würze nach Kräutern und weißem Pfeffer, Bordeaux-Stilistik der alten Schule, wunderbare Länge.

****
2005 Glas
Gewinnt das Duell mit dem Kork auf Augenhöhe; geschliffener, präziser, kompakt, noch jung, viel Zug am Gaumen, sollte noch zulegen.

*****
2004 Magnum
Sehr elegant gereift, großes Gaumenkino, extremes Animo, super Fluss, enorm lebendig, rotbeeriger Fruchtkomplex inklusive Granatapfel, Kräuterwürze, leichtfüßiger Tänzer mit enormer Substanz, her mit dem nächsten Glas – Weltklasse!

*****
2003
Pure Frucht, fast fleischig, reife Brombeeren, Heidelbeeren, Hollerkoch, opulent, strotzt vor Kraft und Saft, feine Würze, etwas Salzigkeit, ein Monument.

*****
2002
Vollmundige, feine und nuancierte Frucht, rotbeerig, feingliedrig, schmelzig und cremig, elegante Fülle, sehr intensiv in Nase und am Gaumen.

****
2001
In Würde gereift, einem großen Barolo gleich. Samtig, Zwetschkenröster, milde Süße, sehr elegant und ausgewogen, atypisch zum Jahrgang.

*****
2000
Aromen-Feuerwerk, tiefdunkel, feine Reife, edle Süße, ausgewogen, vielschichtig, tolle Struktur und Frucht, schöner, langer Abgang, großer Genuss.

*****
1999
Wahnsinnig dicht, feinfruchtig, samtig, dunkle Beeren, balanciert und elegant, keine Spur von Alter, wundervolle Länge, jetzt am Höhepunkt.

****
1998
Kein Mariental, sondern „Aus den Rieden“ (Cuvée Mariental + Oberer Wald), geschuldet dem irren Botrytisdruck in diesem Jahr (Beere für Beere ausgelesen). Fast jugendlich, elegant, präsente Säure, feinnervig.

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1997
Reife Beeren bis zu Röster und Fruchtgelee, gut gereiftes Säurespiel, straff und fokussiert, animierend, schöner Fluss, gute Länge.

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1996
gab es aufgrund des schwachen Jahrgangs keinen Mariental und auch keine Cuvée aus dieser Ried.

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1995
Ebenfalls kein Mariental, sondern ein waschechter Oberer Wald in dieser Verkostung. Sehr fit, elegant und balanciert, mit feiner Würze, etwas indifferentem Säurespiel, herausfordernd, mit der guten Nase kann der Gaumen nicht ganz mithalten.

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1994
Unfassbar! Welch toller Wein und perfekte Flasche. Reife rote Beeren, generell unglaublich viel Frucht und Finesse, dicht und straff, saftig und endlos lang, noble Eleganz, vital. Wow! Der Star der Vertikale.

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1993
Das größte Handicap dieses Weins ist der direkte Vergleich mit dem 1994er. Großer Stoff, animierend, Fluss, feinfruchtig nach reifen roten Beeren, harmonisch, vital, schöne Länge.

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1992 Magnum
Dunkle, reife Frucht, etwas Lakritze, feiner „Pelzton“ am Gaumen ist animierend, in Ehrfurcht gereift, stoffig, edle Süße, feine Gerbstoffe, von Adel. Die Magnum tut ihm gut.

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1991
In der Nase verhalten, leichte Alterstöne, legt mit Luft stark zu, am Gaumen sehr fein, Beerenröster, etwas Alterssüße, noch stoffige Struktur.

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1990 Magnum
Toller Stoff! Tiefgründig, vielschichtig, sehr harmonisch und elegant, fast überreife Frucht, Herzkirsche, Granatapfel, Hollerkoch, dunkle Würze, sehr fein. Einer der besten Weine der Serie.

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1989
Großes Wow! Endloses Extrakt, edle Frucht-Säure-Balance, alle dunklen Früchte, gereiftes Cassis, etwas Lakritze, feinstoffig, samtig, Kräuter, marokkanische Minze, saftig. Vom ersten „Naserl“ bis tief in den Abgang alles perfekt, on top, unfassbar.

Der 2016 Mariental – im Hintergrund die Ried Mariental – gewann die Vinaria Verkostung der Premium Rotweine. © Weingut Ernst Triebaumer